Sittenwidrig statt sozialromantisch- Mindestlohn in der Kanzlei

Auf den ersten Blick wird einem ganz warm ums Herz bei so viel Mildtätigkeit: ein Anwalt aus der Lausitz hatte zwei Aushilfskräfte auf deren Wunsch hin "aus Gefälligkeit " für Büroarbeiten eingestellt, obwohl er bereits 6 angestellte Beschäftigte und, wie er behauptete, aus der Anstellung der zusätzlichen Hilfskräfte keinen "wirtschaftlichen Vorteil " ziehen konnte. Dass er deren Mühe mit einem Monatslohn von jeweils 100,00 € -umgerechnet unter 2,00 € pro Stunde - vergütete und das Jobcenter den Hungerlohn aufstocken musste, lässt die warme Welle der Zuneigung dann aber schnell wieder abflachen.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg konnte hier jedenfalls keinen Fall von Sozialromantik erkennen. Es attestierte dem Anwalt eine verwerfliche Gesinnung und befand den Lohn für sittenwidrig (Urteil vom 10.11.2014, Aktenzeichen 6 Sa 1148/14 und 6 Sa 1149/14). Die Vereinbarung eines Stundenlohnes von unter 2,00 € sei regelmäßig sittenwidrig und damit rechtsunwirksam, wenn die Vergütung über 50 % „hinter der üblichen Vergütung“ zurückbleibe, erklärte das LAG in einer Pressemitteilung. Es liege ein besonders grobes Missverhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitgebers vor. Die für einen Lohnwucher erforderliche verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers werde bei dieser Sachlage unterstellt, so das LAG.

Geklagt hatte das zuständige Jobcenter. Die Behörde machte Lohnansprüche aus übergegangenem Recht geltend. Der Anwalt sei zur Zahlung der üblichen Lohnansprüche verpflichtet, argumentierte es. Diese Ansicht dürften wahrlich nicht nur Juristen teilen.

Vor dem Arbeitsgericht Cottbus war das Jobcenter zuvor allerdings noch überraschend gescheitert (Urteil vom 9. April 2014,13 Ca 10477/13 und 13 Ca 10478/13). Das Gericht war tatsächlich der etwas fadenscheinigen Argumentation des Anwalts gefolgt. Die Kammer hatte zwar ein Missverhältnis zwischen Leistung und Entgelt erkannt. Wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls sah es aber keine verwerfliche Absicht zur Ausnutzung einer Zwangslage der Mitarbeiter.

Das LAG setzt die Dinge in Perspektive: die Arbeit der Hilfskräfte sei für den Anwalt von wirtschaftlichem Wert gewesen, denn ansonsten hätte sie von den fest angestellten Mitarbeitern erledigt werden müssen. Und selbst wenn der Anwalt den Leistungsempfängern eine Hinzuverdienstmöglichkeit schaffen wollte, so hätte sich er an den ortsüblichen Löhnen orientieren müssen, so sinngemäß das LAG.

Ein kleiner Anhaltspunkt, wenn auch nicht zwingend eins zu eins übertragbar: Laut Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung betrug der durchschnittliche Lohn von Aufstockern in Deutschland zuletzt knapp über 6,00 €. Da war bei den Aushilfen des Anwalts also tatsächlich noch viel Luft nach oben.

Derart krasse Fälle werden nach dem neu eingeführten Mindestlohn nun wohl erstmal der Vergangenheit angehören. Arbeitslos dürften die Arbeitsrichter trotz der nun starren Lohnuntergrenze nicht werden. Bislang wurde in der Praxis schließlich noch jede neue Vorschrift in der Arbeitswelt auf Schlupflöcher untersucht

Quelle: RAin Katja Wilke, freie Journalistin, Berlin in BRAK-Magazin, Ausgabe 1/2015, Seite 12.

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